TL;DR
Die offene Sprechstunde stellt aufgrund des bestehenden Ärzte- und Fachkräftemangels eine besondere Herausforderung dar. Ohne vorherige Terminvereinbarung kann der Ansturm von Patienten leicht zu personellen Überlastungen und langen Wartezeiten führen. Diese Überlastsituationen erschweren nicht nur das Praxismanagement, sondern beeinträchtigen auch die Patientenversorgung. Um diesen Herausforderungen wirksam zu begegnen, bieten digitale Tools wie das virtuelle Wartezimmer und der Self-Check-In von dubidoc effektive Lösungen.
Inhaltsverzeichnis
Seit dem 1. September 2019 sind Fachärzte verpflichtet, wöchentlich fünf Zeitstunden als „offene Sprechstunden“ anzubieten. Patienten sollen dadurch einen leichteren Zugang zur medizinischen Versorgung erhalten und ohne vorherige Terminvereinbarung eine ärztliche Konsultation in Anspruch nehmen können. Den Aufwand durch die Behandlung dieser Notfall-Patienten bekommen die Fachärzte extrabudgetär vergütet.
Wir beleuchten die Chancen, aber auch wesentliche Herausforderungen, die mit der offenen Sprechstunde verbunden sind. Zudem erörtern wir fundierte Lösungsansätze, wie durch ein effizientes Kapazitätsmanagement sowohl die Patientenversorgung gewährleistet als auch die Effizienz der Praxisabläufe optimiert werden kann – auch in Zeiten des Facharztmangels.
Gesetzliche Regelung: Wer muss die offene Sprechstunde anbieten?
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) schreibt vor, dass Ärzte oder Psychotherapeuten, die in der grundversorgenden sowie in der wohnortnahen Patientenversorgung tätig sind, pro Woche mindestens fünf Stunden als „offene“ Sprechstunde ohne vorherige Terminvereinbarung anbieten müssen. Die Sprechzeiten für die offene Sprechstunde sind bei der KV zu melden und auf der Praxiswebseite zu veröffentlichen. Der Ablauf und die Organisation der offenen Sprechstunde obliegt der Arztpraxis.
Laut dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) betrifft das folgende Fachgruppen der EBM-Kapitel 6,7,8,9,10,14,16,18,21 und 26 in alphabetischer Reihenfolge:
- Augenärzte
- Chirurgen
- Dermatologen
- Gynäkologen
- HNO-Ärzte
- Kinder- und Jugendpsychiater
- Nervenärzte
- Neurochirurgen
- Neurologen
- Orthopäden
- Psychiater
- Urologen
Bedeutung der offenen Sprechstunde für Patienten
Patienten profitieren durch diese gesetzliche Regelung, dass sie bei akuten gesundheitlichen Problemen schnell und unkompliziert fachärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können – ohne Überweisungsschein und ohne Terminvereinbarung. Diese unmittelbare Verfügbarkeit medizinischer Beratung und Behandlung ist besonders wertvoll bei dringenden Anliegen, die eine sofortige ärztliche Aufmerksamkeit erfordern. Die Wartezeit auf reguläre Termine entfällt, was die medizinische Versorgung von Notfällen insgesamt effizienter gestaltet.
Für Patienten besteht jedoch kein Recht auf Behandlung in der offenen Sprechstunde, wenn es sich nicht um einen akuten Notfall handelt. Erscheinen zu viele Patienten zur offenen Sprechstunde, darf das Praxispersonal triagieren und die weniger dringenden Fälle auf Termine oder die nächste offene Sprechstunde verlegen. Dennoch profitieren Patienten erheblich von der Flexibilität und schnellen Hilfe, die in offenen Sprechstunden angeboten wird. Akute gesundheitliche Probleme werden direkt und unkompliziert adressiert.
Bedeutung der offenen Sprechstunde für Arztpraxen
Ärzte haben durch die offene Sprechstunde die Möglichkeit, flexibel auf die Bedürfnisse ihrer Patienten zu reagieren und ihr Praxisprofil weiter zu schärfen. Das macht Ihre Praxis attraktiv für neue Patienten. Gleichzeitig können Sie durch die erhöhte Vergütung durch die offene Sprechstunde ihre Ressourcen effizienter nutzen.
Die Leistungen in der offenen Sprechstunde werden extrabudgetär abgerechnet. Dies ermöglicht Ihnen eine umfassendere und finanziell attraktivere Betreuung der Patienten. Ein weiterer positiver Effekt besteht darin, dass die „No Shows“ reduziert werden, was zu einer optimierten Auslastung der Praxisräume und des Personals führt. Zusammengefasst trägt die offene Sprechstunde somit sowohl zu einer verbesserten Patientenversorgung als auch zu einer effektiveren und wirtschaftlich attraktiveren Praxisführung bei.
Trotz dieser Vorteile gibt es auch signifikante Nachteile, die es zu berücksichtigen gilt. Einer der wichtigsten Kritikpunkte ist die potenzielle Überlastung der Praxis, da viele Patienten ohne vorherige Terminvereinbarung kommen und die offene Sprechstunde auch für weniger dringende gesundheitliche Probleme nutzen. Dies kann zu erheblichen Wartezeiten führen, was sowohl für Patienten als auch für Ärzte frustrierend sein kann.
Die offene Sprechstunde kann zudem eine erhöhte Arbeitsbelastung für Ärzte bedeuten. Neben den regulären Terminsprechstunden müssen sie sich zusätzlich um die Patienten der offenen Sprechstunde kümmern, was die Arbeitszeit und -intensität deutlich erhöhen kann. Dies kann auf Dauer die Qualität der Versorgung beeinträchtigen und zu Überlastungserscheinungen beim medizinischen Personal führen.
Zudem gibt es Facharztrichtungen, die nicht so gut besucht werden. Das Freihalten der Slots für die offene Sprechstunde birgt somit auch das Risiko, dass nicht genug Patienten erscheinen, die abgerechnet werden können.
Wie wird die offene Sprechstunde abgerechnet?
Alle ärztlichen Leistungen in der offenen Sprechstunde werden extrabudgetär vergütet. Die Vergütung orientiert sich am Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), der die entsprechenden ärztlichen Leistungen monetär abbildet. Für die Kennzeichnung einer offenen Sprechstunde ist die Angabe der Pseudo-GOP 99873O („O“ steht für offene Sprechstunde) erforderlich. Zudem muss im Praxisverwaltungssystem (PVS) in der Feldkennung 4103 (Vermittlungs-/Kontaktart) die Vermittlungsart 4 eingetragen werden.
Zur Umsetzung der offenen Sprechstunde gehört die Festlegung einer Höchstgrenze für extrabudgetäre Behandlungsfälle, die je nach Praxis auf Basis der Arztgruppenfälle des aktuellen Quartals ermittelt wird. Dabei dürfen maximal 17,5 % aller Patienten einer Praxis über diesen Weg abgerechnet werden.
Laut Informationen der KV Nordrhein muss für einen Patienten, der im Quartal bereits für eine Vorsorgeuntersuchung vorstellig war, ein neuer Schein für die offene Sprechstunde im PVS angelegt werden. Kommt der Patient zuerst in die offene Sprechstunde und später im Quartal zu einer Vorsorgeuntersuchung, erfolgen die Abrechnungen aller Folgekonsultationen über den Schein der offenen Sprechstunde. Die Abrechnungsregeln können innerhalb der KVen variieren. Bitte erfragen Sie bei der für Sie zuständigen KV, ob es abweichende Regelungen gibt.
Offene Sprechstunde in Zeiten des Ärztemangels erfolgreich organisieren
Durch den bestehenden Fachärztemangel haben Arztpraxen generell mehr Patienten zu versorgen. Aus diesem Grund stellt die offene Sprechstunde eine noch größere Herausforderung für die Arztpraxen dar. Der unmittelbare Zugang der Patienten zu den Praxen ohne Terminvereinbarung führt oft zu unvorhersehbaren und unkontrollierten Patientenströmen, was die ohnehin hohe Arbeitsbelastung des Praxisteams weiter verstärkt. Arztpraxen benötigen daher zusätzliche organisatorische und personelle Ressourcen, um die große Menge der Patienten, die gleichzeitig die Praxis aufsuchen zu bewältigen. Es sind vor allem digitale Lösungen gefragt, welche die Praxisorganisation optimieren und das Praxispersonal entlasten:
Kapazitätsmanagement
Eine erhöhte Anzahl von Patienten ohne Terminvereinbarung kann die Praxisbelastung erheblich steigern. Essenziell sind daher eine sorgfältige Planung der Sprechstundenzeiten und eine realistische Einschätzung der Praxisressourcen. Bereits im Vorfeld sollte geklärt sein, welche Räumlichkeiten belegt werden, vor allem, wenn in der Praxis parallel eine Terminsprechstunde angeboten wird. Doch selbst die beste Vorbereitung kann nicht immer verhindern, dass zu viele Patienten die offene Sprechstunde aufsuchen.
Bei anhaltend hoher Nachfrage könnte auch die Einstellung zusätzlichen Personals oder die Aufteilung der offenen Sprechstunde auf mehrere Ärzte in Betracht gezogen werden.
Wartezeiten patientenfreundlich gestalten
Da die offene Sprechstunde ohne Terminvereinbarung erfolgt, kann es zu längeren Wartezeiten für die Patienten kommen. Um diese Wartezeiten zu minimieren, sollten Sie die Patienten regelmäßig über den aktuellen Stand informieren und eine angenehme Warteumgebung schaffen. Nutzen Sie beispielsweise ein Self-Check-In-System, das den Patienten ermöglicht, sich selbstständig ins digitale Wartezimmer einzubuchen. Das virtuelle Wartezimmer von dubidoc bietet eine Wartezeitprognose und ermöglicht den Patienten, auch außerhalb der Praxis zu warten. Dadurch wird das Patientenaufkommen zu Stoßzeiten vor der Anmeldung und im Wartezimmer entzerrt.
Patientenkommunikation verbessern
Lange Wartezeiten oder die mögliche Abweisung von Patienten in der offenen Sprechstunde können zu Unzufriedenheit führen und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient negativ beeinflussen. Patienten, die nicht direkt behandelt werden können, sind oft frustriert und lassen ihren Unmut am Praxisteam aus. Eine klare Kommunikation der Auswahlkriterien und Transparenz darüber, welche Patienten behandelt werden und welche nicht, schafft Klarheit und minimiert Unzufriedenheit. Eine professionelle Patientenkommunikation ist in solchen Fällen unerlässlich und kann durch gezielte Weiterbildungsangebote für das Team gefördert werden.
Digitale Services helfen, den Patientenansturm zu bewältigen
Ein effektives Praxismanagement ist essenziell, um die Vorteile der offenen Sprechstunde bestmöglich zu nutzen und gleichzeitig die Nachteile zu minimieren. Konkrete Maßnahmen können beispielsweise die Einführung eines Triage-Systems sein, um dringende Fälle priorisiert zu behandeln und weniger dringende Anliegen entsprechend zu terminieren. Die Optimierung der Praxiseffizienz durch den Einsatz digitaler Tools wie Self-Check-In-Station und dem digitalen Wartezimmer tragen ebenfalls dazu bei, die Arbeitsbelastung des medizinischen Personals zu senken. Eine Online-Terminvereinbarung für die regulären Sprechstundentermine entlastet die MFA am Empfang.
Ein weiteres Lösungsangebot ist die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Ärzten, beispielsweise durch Gemeinschaftspraxen oder Netzwerke, die eine bessere Verteilung der Patientenströme ermöglichen. Schulungen und Fortbildungen des Praxisteams können zudem helfen, den Umgang mit der erhöhten Patientenanzahl und den organisatorischen Herausforderungen zu verbessern.
Fazit: Gute Praxisorganisation als Basis für die offene Sprechstunde
Insgesamt bietet die offene Sprechstunde eine wertvolle Möglichkeit, die Patientenversorgung zu verbessern, wenn sie durch ein durchdachtes und effizientes Management unterstützt wird. Die Herausforderungen, insbesondere im Kontext des Ärztemangels, sind nicht zu unterschätzen, aber mit digitalisierten Prozessen und einer strategischen Herangehensweise lassen sie sich erfolgreich bewältigen.
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Quellen:
Bundesministerium für Gesundheit: Schnellere Termine, mehr Sprechstunden, bessere Angebote für gesetzlich Versicherte (Abruf vom 12.06.2024)
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/terminservice-und-versorgungsgesetz
KV Nordrhein: TSVG Offene Sprechstunde (Abruf vom 12.06.2024) https://www.kvno.de/praxis/haeufige-fragen/gesetze/tsvg
Kassenärztliche Bundesvereinigung: Terminvermittlung (Abruf vom 12.06.2024) https://www.kbv.de/html/terminvermittlung.php